Samstag, September 09, 2006

09.09.2006 - Protokoll: Die erste Woche in Yale

Die erste Woche in New Haven war sehr geschäftig, wie das eben so ist, wenn man an einen neuen Ort kommt: Ich musste ein Bankkonto einrichten, einkaufen, mich beim International Student Office anmelden, zwei Laborsicherheitstrainings absolvieren und etwa 5 cm Paper als Einführung in meine Experimente lesen. Leider habe ich meinen Laptop im Labor noch nicht ans Netzwerk anschließen können, da Walther, mein Betreuer, diese Woche zu seinem zweiwöchigen Deutschlandurlaub aufgebrochen ist und noch keinen Account für mich eingerichtet hat. Daher konnte ich leider keine Fotos unserer letzten Etappen online stellen.

Aber der Reihe nach: Am Montag trafen sich alle Mitarbeiter von Walthers Labor trotz des amerikanischen Feiertags (Labor Day, ähnlich wie bei uns 1. Mai) im Boyer Center, um die Projekte zu besprechen. Dabei gab es gleich die ersten Lacher, denn gleichzeitig mit mir fängt ein anderer Masterstudent von Yale im Labor an, und sein Name ist Joseph. Aus unerfindlichen Gründen fanden es Walther und Pradeep, sein langjähriger Mitarbeiter, unendlich lustig, dass Maria und Joseph (wie in der Bibel) nun zu ihrer Arbeitsgruppe gehören. Den Dienstag habe ich damit verbracht, mich beim International Office anzumelden und meine ersten Plasmide herzustellen. Das Büro habe ich erst nicht gefunden und wurde eine Stunde bei Regen auf dem Campus von A nach B geschickt - und das nur, weil an dem vormaligen Gebäude des International Office noch das alte Schild hing, das Büro aber längst umgezogen war.

Von dort, wo ich wohne, bis zum Boyer Center sind es etwa 40 min zu Fuß durch Wohnviertel und Downtown New Haven, per Bus etwa 20 min. Sobald meine Vermieterin und Mitbewohnerin wieder da ist, kann aber ich deren Fahrrad benutzen. Der Verkehr hier ist relativ ruhig, keine fünfspurigen Straßen, und meist gibt es Radwege. Hier mal ein typisches Foto aus meinem Viertel. Besonders das zweite Bild sagt recht viel über den Durchschnittsamerikaner aus.


Mittwoch und donnerstag habe ich an jeweils dreistündigen Sicherheitstrainings teilgenommen, eine Voraussetzung, um hier offiziell im Labor arbeiten zu dürfen. Dabei ist mir gleich aufgefallen, dass hier anscheinend unendlich viele Mitarbeiter beschäftigt sind. Es gab eigens produzierte Sicherheitsvideos, daumendicke Manuskripte und mindestens fünf verschiedene Mitarbeiter allein beim Laborsicherheitsbüro. Dazu kommen noch die ganzen Fahrer der Shuttlebusse, die Sicherheitsbeamten an den Eingängen der größeren Gebäude, Gärtner usw. usw. Ich schätze mal, dass hier etwa 10.000 Leute arbeiten, bei etwa ebenso vielen Studenten. All dies wird natürlich von den Studiengebühren bezahlt.

Am Donnerstag führte Joseph mich und Tobi, meinen Kommilitonen aus Lübeck, über den Campus. Der Kernbereich der Yale-Universität besteht aus neun Quadraten, wobei sich im mittleren das New Haven Green befindet, eine große Wiese mit Spazierwegen und einer Kirche. Auf dem Green findet viel buntes Unileben statt: Ob Campus-Lauf, Open Air-Konzerte im Sommer, Gottesdienst oder einfach Picknick - stest bevölkern eine Menge Menschen die Wiese. Darum herum befinden sich alte Gebäude - zumindest sehen sie so aus. Zwar wurde die Universität Mitte des 18. Jahrhunderts gegründet, doch die meisten Gebäude wurden erst in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts nach britischem Vorbild (Oxford, Cambridge) im pseudogothischen Stil erbaut. Teilweise hat man bei Nischen über Toreingängen sogar bewusst die eigentlich dorthin gehörenden Statuen weggelassen, um es so aussehen zu lassen, als seien diese im Laufe der bewegten Geschichte gestohlen oder zerstört worden!

Das Interessante an Josephs Rundgang über den Campus war, dass wir auch ein paar der Residential Colleges besichtigten: Wenn die Erstsemester nach Yale kommen, wird ihnen ein Wohnbereich (Residential College) direkt auf dem Campus zugewiesen - von Wohnheimen zu sprechen, wäre aber nicht angemessen, denn die Höfe befinden sich in den historischen Bauten mit wunderschönen Wiesen und Blumenbeeten, und man fühlt sich, als wohne man in einem englischen Schloss. In einem Residential College wohnen etwa 50-100 Studenten verschiedener Fachrichtungen, und nicht nur die Unterkunft, sondern auch die Verpflegung ist in den Studiengebühren enthalten. Jeder Wohnbereich hat seinen eigenen Essensraum, eigene Hausmeister und Wäscheräume und ist somit autark.

Natürlich besitzt auch die Yale University einen Uni-Turm mit Glockenspiel: Hier ist es ein gothisch verschnörkelter Kleckerburg-Turm, und zweimal täglich um 12:30 und 17:00 wird ein Lied gespielt. Das Erstaunliche ist, dass das Glockenspiel nicht elektronisch gesteuert ist, sondern ein Mitglied des Orgel- und Glocken-Vereins (oder so ähnlich) an der Uni dort oben im Turm die Züge der Glocken bedient. Wenn man jemanden aus diesem Verein kennt, kann man sich ein Lied wünschen, das gespielt werden soll, und so sollen sogar schon Lieder von den Rolling Stones oder Britney Spears als Glockenspiel über den Campus geklungen sein.

Der nächste Punkt auf unserer Campustour war die Hauptbibliothek. Sie sieht von außen und auch von innen aus wie eine Kirche, mit bemalten hohen Glasfenstern und natürlich uralten Bücherregalen. Im Lesesaal gibt es gemütliche Ledersessel und Chaiselongues - man kann den Geist des genialen Wissens fast spüren. Neben der Hauptbibliothek gibt es noch eine zweite Bibliothek, in der die wirklich wertvollen und unbezahlbaren alten Bücher aufbewahrt und teilweise auch ausgestellt sind, u.a. eine Gutenberg-Bibel. Das Gebäude an sich ist fantastisch. Von außen ist es ein Marmorklotz komplett ohne Fenster, doch im Inneren scheint durch die Maserung der Marmorplatten das Licht hinein - fast wie in einer Höhle.

Donnerstag abend nahm mich dann noch Cindy, meine sehr nette Nachbarin, per Auto mit zum etwas entfernten größeren Supermarkt. In Downtown New Haven und auf meinem Weg zur Uni komme ich nur an einigen kleinen Lebensmittelläden (Delis oder Gourmet Food Stores) vorbei, die teilweise recht teuer sind. Übrigens gibt es in New Haven eine gar nicht so kleine Gemeinde italienischer Einwanderer, und so kann man in den Delis italienische Sandwiches, Nudeln, Salate und vor allem die berühmte New Haven Pizza kaufen. Meist sind auch gleich Cafes angegliedert, in denen am Wochenende viele Studenten frühstücken gehen.

Aber ich schweife schon wieder ab: In dem großen Supermarkt, zu dem mich Cindy fuhr, habe ich erst mal Essen für eine halbe Armee erstanden, vor allem die Basics wie Nudeln, Brötchen, Gemüse und Obst. Beim Versuch, eine Fertigpizza (hey, wir sind schließlich in Amerika!) im Backofen zu erwärmen, habe ich dann gleich den Feuermelder des angrenzenden Schlafzimmers ausgelöst. Das lag aber nicht daran, dass mit dem Gasherd irgendwas nicht in Ordnung war, sondern einfach am natürlichen Pizzabackofengeruch, den der Sensor anscheinend nicht mochte. Nachdem ich nach einiger Suche nach der Herkunft des ohrenbetäubenden Sirenengeheuls den Brandmelder endlich lokalisiert hatte, ging das Ding nach Schließen der Schlafzimmertür zum Glück von selber aus. Was für ein Schreck! Na ja, die Feuermelder haben schon ihren Sinn, schließlich sind hier alle Häuser bis auf das Fundament komplett aus Holz, doch direkt neben der Küche ist wohl ein eher schlechter Platz für so ein sensibles Teil.

Am Freitag ging die Laborarbeit ihren gewohnten Gang. Gegen 17:00 wurde ich in ein weiteres amerikanisches Ritual eingeführt - die Instituts-Happy-Hour. Alle zwei Wochen im Semester richtet eine Arbeitsgruppe diese Zusammenkunft aller Arbeitsgruppen des Instituts aus, es gibt Bier und Wein (und auch alkoholfreies ;-)), etwas zu essen, und auf der Dachterrasse sitzen alle gemütlich für ein oder zwei Stunden beisammen. So habe ich ein paar Mitarbeiter anderer Labors kennengelernt. Danach gehen die Leute entweder nach Hause oder zurück ins Labor.

Allgemein habe ich den Eindruck, dass die Leute hier Arbeit und Privatleben stärker verbinden. So kommen auch Ehepartner und Kinder zur Happy Hour, und am Wochenende picknicken die Leute auf dem Campus, teilweise mit Kollegen. Undenkbar in Deutschland? Ich denke, hier wird die gesamte Infrastruktur und eine schöne, ansehnliche Umgebung zum Entspannen zur Verfügung gestellt und die Angestellten wissen es zu schätzen - die Mentalität in Deutschland ist einfach anders, wir Deutschen trennen stärker in Arbeit und Freizeit.

Wahrscheinlich werde ich aufgrund meiner ja recht knappen drei Monate hier auch den ein oder anderen Nachmittag am Wochenende im Labor (wie gestern am Samstag) verbringen, einfach um Experimente für die Woche vorzubereiten.