Donnerstag, Oktober 05, 2006

23.09.2006 - Boston: Ein bißchen Europa in Amerika

Nach viel Arbeit am letzten Wochenende komme ich nun endlich dazu, meinen Bericht aus Boston online zu stellen.

Mein Zugticket für Amtrak hatte ich drei Tage vorher online gekauft und bereits am Bahnhof abgeholt. Früh um acht holte mich dann der wie immer praktische Yale-Shuttle von zu Hause ab und brachte mich zum Bahnhof. Die Züge hier sehen genauso aus wie im Fernsehen, sind komplett aus Metall (Aluminium) und fahren eher langsam. Im Gegensatz zu Deutschland sind die Schaffner super-freundlich und sagen jedem Passagier, wann er aussteigen muss.

Gegen 11 Uhr vormittags kam ich in Boston an und traf dort meinen Kommilitonen Michael, der bis Ende September ein Praktikum in Harvard absolviert. Zum Glück hörte es auf zu regnen, als ich in Boston ankam, allerdings hingen den ganzen Tag dicke graue Wolken über der Stadt und es war sehr schwül.

Vom Bahnhof Back Bay liefen wir in Richtung Prudential Center hin zum Christian Science Center. Die Architektur Bostons ist sehr interessant und unheimlich europäiisch: säulenumstandene Rundbauten aus Sandstein (ähnlich dem Kapitol in Washington oder wie viele Gebäude in Großbritannien) und kleine, an britische Pubs erinnernde Häuser wechseln sich ab mit modernen Wolkenkratzern. Im Gegensatz zu New York gibt es in Boston aber keine düsteren Straßenschluchten, sondern die Hochhäuser wirken für sich allein und bilden einen reizvollen Kontrast zu den historischen Gebäuden. Zudem kann man Boston sehr gut zu Fuß erkunden und ist nicht unbedingt auf die U-Bahn angewiesen.





Beim Christian Science Center befindet sich die Mary Eddy Baker Library, gestiftet von einer reichen christlichen Adligen um 1900. Dort befindet sich das weltberühmte Maparium, eine begehbare Weltkugel aus farbigen gebogenen Glasplatten, die hinterleuchtet sind. Diese Sehenswürdigkeit wurde 1920 fertiggestellt und zeigt die Welt mit den damals existierenden Staaten. Natürlich ist die Besichtigung medial aufgemotzt mit dramatischer Musik und einem emotionalen Sprecher, der darauf hinweist, dass es heute einige der Länder nicht mehr gibt (ach, echt?), z.B. das “totalitäre Regime” der Sowjetunion und die afrikanischen Kolonien. Natürlich sind hier alle sehr stolz, in solch einem freien Land wie den USA leben zu dürfen. Nach so viel rührseligem Patriotismus brauchten wir nationalstolzfreie Deutsche erst mal einen Kaffee ;-)

Weiter ging es in Richtung des Boston Commons, dem größten Park der Stadt. Durch Boston zieht sich ein Band mehrerer Grünanlagen, entworfen vom gleichen Architekten, der auch den New Yorker Central Park gestaltet hat, und in manchen findet man Teiche, auf denen man in Schwanenbooten herumfahren kann.


Vom Boston Commons liefen wir entlang des Freedom Trails (einem Rundweg zu den wichtigsten Orten der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung) in Richtung Boston Harbor. Boston, eine der größten Hafenstädte der USA, besteht genau genommen aus mehreren Inseln und Halbinseln, die alle durch Fährlinien miteinander verbunden sind. Einige der Inseln sind reine Erholungsgebiete, andere eher Vororte von Boston. Zusätzlich umfließt der Charles River die Westseite der Innenstadt Bostons. An einem der Piers machten wir Rast und ließen die Seele beim Blick aufs Wasser baumeln.




Vom Hafen liefen wir auf die andere Seite der Innenstadt durch das malerische Viertel Beacon Hill (mit süßen Backsteinhäusern) zum Charles River und lauschten einem Jazz-Konzert am Wasser (es fand gerade ein Festival statt) – und wieder wünscht man sich, man könnte um 17:00 abends im Biergarten ein Bier oder Alsterwasser bestellen und die Musik genießen, doch wir sind ja in Amerika, und das Alkoholausschankgesetz Bostons ist wohl das strengste in den USA. Hier dürfen Restaurants nur dann draußen auf der Terrasse oder Straße Alkohol ausschenken, wenn der Außenbereich umzäunt ist und ein extra Kellner die Ausweise kontrolliert. So viel zum “Land of the Free”… (Anscheinend müssen die Bürger hier ständig vor sich selbst geschützt werden.)

Vom Jazz am Wasser machten Michael und ich uns schließlich auf zur Longfellow Bridge, von der aus man einen tollen Blick auf Bostons Skyline hat.



Von dort aus fuhren wir ein paar Stationen mit der U-Bahn bis zum Harvard Square, dem Campus der Harvard University. Der Campus ist dem von Yale recht ähnlich, nur rote Backsteingebäude statt gothischem Schnörkel. Harvard verfügt angeblich über die größte Universitätsbibliothek der Welt, die allerdings von außen nicht sehr groß aussieht. Die Stifterin, deren einst in Harvard studierender Sohn beim Untergang der Titanic ums Leben gekommen ist, hatte nämlich für die Errichtung der Bibliothek die Bedingung gestellt, dass das Gebäude inkl. Studierzimmer des Sohnemanns niemals verändert werden darf, d.h. keine Anbauten, Aufstockungen oder ähnliches. Der Clou ist, dass man die Bibliothek trotzdem erweitert hat, nämlich unterirdisch in mehreren Stockwerken.

Am Harvard Square gingen wir dann noch zu Abend essen und gönnten uns riesige Burger und Salate in einer quirligen Bar. Von dort aus spazierten wir dann wieder Richtung Bahnhof und machten noch einen abendlichen Abstecher an der Longfellow Bridge, um die Skyline noch einmal bei Nacht zu bestaunen.

Gegen 22:00 Uhr fuhr dann mein Zug in Richtung New Haven, und ich wurde gegen 1:00 Uhr sicher nach Hause gebracht von einem der kleineren Shuttle-Jeeps mit einem richtigen amerikanischen Sheriff: “Ma’m, I’m here to take you home safely. I will not leave ‘til you’re in the house!” Und wirklich, die Jeeps haben große Scheinwerfer auf dem Dach, mit denen sie den Eingang des Hauses ausleuchten, bis man sicher drinnen ist. Nach einem so ereignisreichen Tag fiel ich dann nur noch todmüde ins Bett.